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Alter!

Gelegentlich, zum Ausklang eines Tages, füttere ich meinen
Videorekorder mit einer Kassette, die ich aus einem
nahegelegenen Videofachverleih beziehe.
Dass hier es nicht nur ich gelegentlich schwer habe, meine
heimcineastischen Bedürfnisse befriedigt zu bekommen, zeigte
sich erst neulich wieder.

Ein männlicher Mitbürger, altersmäßig ein Mitzwanziger, wie ich
schätzte, führte gegenüber einer Videofachverleiherin Beschwerde
wegen erheblicher inhaltlicher Mängel eines von ihm Tags zuvor
entliehenen Films. Wiewohl in ausladende Jogginghose,
Kapuzenshirt und eine Art Bommelmütze ohne Bommel verhüllt,
war sein Äußeres derart aktiv, dass seine Körpersprache klar
eine grundtief gehende Enttäuschung ausdrückte. Damit aber
schien es dem Kunden nicht Genüge getan, da er seine Frustration
auch zu verbalisieren verstand.
"Iss dochma ächt Schaaße, wa! Da willma sichn krassen
Horrorstreifen einfaan, un dann diesa Schaaiß. Ghostdog, wa!
Schaaiß Hotdog. Mann, dassis voll was für fette Luuser. Null
Äktschn, null Brontalität so, un kaan Wort kannste vastehn, ey.
Iss dochma ächt Schaaße, wa!"
Die mitfühlende Videofachverleiherin bringt ihre Kollegin, die
am Vortag die allfälligen Arbeiten im Videofachmarktpalast
ausgeführt hatte, ins Gespräch. Weist darauf hin, dass sie
selbst ja niemals diesen speziellen Film empfohlen hätte, gerade
und besonders für das offenkundige Anliegen des Kunden, mal so
richtig abzuhorrorn.
"Aber weißte", wird sie ihrer vertrauensvollen Stellung als
Beraterin gerecht, "Horrors werdn ja eh nich mehr so richtich
gemacht, wie so inn Sibbzigern. Kettensägnmassaka oder so, gibs
ja nich mehr so richtich."
"Checkermäßig, ey. Sachich auch immer. Kein Style mehr inna
Scene. Nur noch so schwule Weiberlogik innen Filmen. So korrekt
mörderschaafes Zeug - vagisses, is mehr so minus, ey.
Aba gibtsen gaah nix mehr, kannste nich ma zurückschecken?"
Tut sie doch gerne, die Videofachverleiherin. Und zaubert ein
Produkt hervor, das sie mit dem Urteil "Der ist schon geil"
begleitet.
"Echt?" wurde kundenseits "gegengecheckt". "So echt brontal mit
Äktschn unso? Wie issn der?"
"Der ist halt geil. Schon stark gemacht."
"Aaallter!"
"Kannste dir ruhig reinziehen. Stark."
"Geil!"
"Echt stark."
"Aaaallter!"

Es heißt: Worte seien das heiß begehrte Objekt der Sprache.
Irgendwie aber erscheint mir diese Sprache über's Klimakterium
hinaus zu sein; ihr heißes Begehren ist nur noch müdes
Erinnern.

Einer Werbeanzeige Folge leistend, trotte ich Tage später in
einen Weinladen.
Ein Kunde befindet sich bereits dort, mit dem Weinfachberater
vor einem Weinfach stehend.
"Und der?", fragt der Kunde.
"Oh! Dieser Wein ist einfach toll!"
Eine klare Aussage? Offenbar soll das Urteil "Dieser Wein ist
einfach toll" in der Einbildungskraft des Kunden Begriffe mit
Anschauungen verbinden, soll seine Phantasie stimulieren und mit
deren synthetisierender Kraft eine größtmögliche Annäherung an
den unbekannten Tropfen erreichen. Und ...
.. es klappt.
Das nachgeschobene "Echt stark. Spitze!" scheint als
Präzisierung akzeptiert zu werden, denn der Kunde ist nach
diesem Beratungsgespräch kaufentschlossen.
Ich greife rasch ein, zwei Flaschen aus einem Regal, trolle mich
zur Kasse, und nicke brummend zu dem "Was gefunden?" des
Weinfachberaters.
Nach einem Blick auf die Flaschen nickt dieser auch, tippt auf
eine Flasche und verkündet frohgemut:
"Echt stark, der!"
Resigniert schlage ich die Augen nieder.
"Aaallter", murmele ich.

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