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Endorphine

Was mir die Laune verderben kann? Die Liste ist so lang, daß sie aufgerollt unter dem Arm getragen jedem alttestamentarischen Gelehrten den letzten Schliff geben würde – outfitmäßig gesehen.
Und in der Tat vergeht kaum ein Tag, an dem meine Endorphin-Produktion nicht bei dem Versuch in Streß geraten würde, zumindest die für ein ausgeglichenes emotionales Gleichgewicht nötige Menge hervorzubringen.
Positives Denken ist nicht mein Ding. Definitiv.
Vielleicht deshalb, weil mir vor vielen Jahren mein Turnlehrer nach einer von mir zu tief angesetzten Grätsche - die eigentlich über den aufgestellten Bock hätte gehen sollen – mit dem Kram neue Motivation geben wollte.
Da hocke ich um Atem ringend in einem einzigen Körperkrampf am Boden, und der redet von "Positivem Denken". Das hat solcherlei Gerede ein für allemal als realitätsnichtig demaskiert.
Ich weiß, es gibt Leute die sind "sad"; Opfer einer "saisonal abhängigen Depression". Es ist Frühling oder Spätherbst oder was, und die kriegen den Blues.
Für mich sind das miese, kleine Amateure. Ich bin da eher vollzeitlich engagiert.
Ob ich auch mal gute Laune habe? Klar, hin und wieder geht das in Ordnung. Aber ihr könnt drauf wetten: irgendjemand schafft es dann schon, mich in meinen gewohnten Grundzustand zu bringen.
Erst gestern wieder. Es ist grauer Vormittag und feucht. Ich gehe mit dem Hund in den Flußauen spazieren, daher ist mir dieses Wetter hoch willkommen. Keine Nachwuchs - Jan Ullrichs mit ihren hochgetuneten Zweirädern oder ausgerastete Fun-Skater, die mal eben deine Sprunggelenke mit einem locker skandierten "Ausm Weg, Alteeer!" auf die Probe stellen (ich habe gehört, es gibt jetzt einen katholischen (!) Skater-Verband; das Kirchenvolk scheint’s müde, auf dem rechten Weg zu wandeln, auf dem rechten Weg zu skaten geht doch viel schneller – nach dem Motto "mit Ratzinger im Nacken lassen wir’s so richtig knacken", oder so ;-) ).
Also nur der Hund und ich. Und die Flußauen. Dachte ich.
Denn wie aus dem Nichts treten plötzlich zwei zunächst schemenhaft sich abzeichnende Gestalten auf den Plan und kommen auf mich zu.
Sie sind ungleichen Geschlechts, wiewohl sehr ähnlich gewandet. Lodengrün. Beide mit festestem Schuhwerk. Er mit Stock in Kniebund, Wollkniestrümpfen und einem Filzhut, den er weiland einem der sieben Zwerge entwendet haben muß. Und nun sagt nicht, das macht doch keiner: kleineren Personen die Kleidung stehlen ... ihr hättet das Gesicht sehen sollen; DER macht so was.
Nun muß ich allerdings mal kurz unterbrechen, denn das hier ist wieder so eine Stelle um zu betonen, daß man selbst gar nicht so ist, wie es wieder mal den Anschein hat. Nein, ich habe nichts gegen phänotypische Hochgebirgsjägerimitate, selbst wenn weit und breit weder Jagdgründe noch Gebirge in Sicht sind; und modetechnisch gesehen bin ich ja so was von tolerant ... ich erwähne dies alles ja nur, um die Authentizität der Situation rüberzubringen, so als literarischen Kniff, ihr wißt schon. Und bei der Gelegenheit: auch die katholischen Skater haben meinen Segen, ebenso wie der protestantische Köchebund.
Doch zurück zur Geschichte.
Kaum hatte das grüne Duo sich auf Hörweite genähert, da bölkt es mir schon entgegen: "Hund anne Leine, sofoort!" Das interessiert das Tier natürlich. Die Ohren klappen hoch, die Rute erstarrt. Das hundetechnisch gesehen hochkompetente Jägerimitat brüllt: "Das Biest ist in Angriffsstellung" und geht, heftig mit seinem Stock fuchtelnd, auf den "Köter" los.
Den sich darauf entwickelnden Dialog zwischen mir und dem Zwergenfilzhutklauer erspare ich euch. Unnötig zu erwähnen, daß mir daraufhin die Laune für den Rest des Tages unter den Gefrierpunkt gefallen ist. Keine Chance für Endorphine.
Aber es gibt das Zeug auf Flaschen. Ehrlich! Die sind im Wein (ist zumindest meine Privattheorie).
Das Problem ist nur, man weiß vorher nicht, wo die drin sind. Du kannst eine hoch beleumundete Flasche öffnen, und ... nix passiert; andererseits nimmst Du – sagen wir: einen Gutsriesling im Liter, und: Überraschung, Endorphine in Massen (und das hat nichts damit zu tun, daß in der Literflasche einfach nur mehr drin ist – also bitte ...)
Vorgestern habe ich’s beispielsweise mit einem 86er La Lagune (ja, der aus dem Haut Medoc) probiert ... kein Effekt. Die miese Laune blieb.
Gestern aber ...
... ein Pfälzer war’s, aus Forst.
Spindler stand drauf, und Forster Elster. Eine trockene Scheurebe aus der Spätlese von 1998. Mit noch dezenten CO2-Perlchen im leuchtenden mittelkräftigen Goldgelb. Ein schöner Duft mit tropischem Touch, aber auch die schwarze Johannisbeere fehlte dabei nicht, rosa Grapefruit, Sternfrucht und anfangs etwas Honigtöne.
Der Mund empfing eine schmeichelnde Frucht auf lebendiger Säure. Der Wein zeigte sich gut strukturiert und im Gleichgewicht. Er vibrierte ein wenig im Mund. War ein bissele muskatwürzig. Auch hier ein kleiner tropischer Einschlag, die rosa Grapefruit war auch ziemlich deutlich dabei. Und mit den zirkulierenden Tönen und dem schönen Nachhall flossen sie: die Endorphine.
Ihr hättet mir zwergenschändende Filzhutjäger mit Stockdegen im Dutzend geben können – meine Laune hätte sich nicht trüben können.
Nicht, solange noch etwas in der Flasche war.

 

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