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Go West

Grünkohl, wenn’s hoch kommt. Bockwurstplatte vielleicht. Spiegelei mit Sauergurkengarnitur. Das wär dir so eingefallen, wenn Du gehört hättest: Hannoverstammtisch trifft sich. Aber pass auf: Hannover ist eben doch nicht die Hauptstadt der Ukraine, wie viele vermuten mögen. Und sowieso egal: das Ganze hat eh nichts mit Hannover zu tun. Sondern mit Talent. Und Talente kannst du zählen, im Hannoverstammtisch.
Egal wie ein Rattenhintern, sagst du, weil dir gerade die Stammtische der echten Popularkulturträger, der Promis einfallen: Talent in der Ära der NicoleKidmans und NoAngels ... zum Vergessen, niemand scheint’s zu haben, niemand zu brauchen.
Aber ich erzähl dir mal was. Und zwar ... von vorne.
Wenn der durchschnittliche Hannoveraner seine Landeshauptstadt mit der S-Bahn in die Region Richtung Westen verläßt, fühlt er sich unweigerlich in die Zeit von Wild Bill Hickok zurückversetzt. Auf nach Abilene, nach Dodge City, Santa Fe! Zum knarrharten Boden kultureller Prairie. Spätestens nach dem Passieren Bückeburgs auf der Strecke nach Minden beschleicht ihn das Gefühl zivilisatorischen Ausgesetztseins.
Oh, wie gut ihm ein wenig Bescheidenheit anstehen würde.
Denn nicht nur, daß es dem Hamburger oder Berliner exakt so geht, wenn dieser nach Hannover muß. Gerade jedoch in Minden, erfuhr die Hannoversche Regionale des W+ ein fulminantes Ereignis.
Zum Küchen- und Kellertest hatte Volker Borst geladen. Klar, daß wir uns das nicht entgehen ließen.
Aber geahnt hatte wir nicht, was da auf uns zukommen sollte, wirklich nicht.
Casanovas Viagra zum Beispiel: die schalenbewehrt irgendwie prähistorisch aussehenden Austern. Die hast du in der Drogerie jetzt auch als Dragees gesehen? Ja, ich weiß. Aber ... das gildet nicht, wie der Niedersachse sagt. Du mußt dem Tier schon Auge in Auge gegenüberstehen.
(Und a propos: sieht so eine Auster nicht auch irgendwie aus wie ein ausgerissenes Auge ... na gut, ich bin als Kind halt lieber in die Berge als an’s Meer gefahren ...)
Dazu gab’s den Tresor von Bouvet-Ladubay und somit auch gleich die Frage, was sich besser verträgt: der schäumende oder der stillschweigende Wein und die Creusses.
So zwischendurch gab es für die Austernixen ein kleines Antipastiquintett mit unterschiedlich marinierten Champignons, gefüllten Cocktailtomaten, Schafskäsecreme, marinierten getrockneten Tomaten.
Heimlich, still und leise stand dann plötzlich die Gänse-Stopfleberterrine vor uns. Es war für mich DIE Stopfleberterrine, denn besser habe ich die nicht in Straßburg und nicht in Paris bekommen. Nein, auch nicht in München. Mit ihrer dezenten Portweinsüße und der leichten Weinbrandwürze ein multipler Genuß.
Wo er die her hatte, der Volker? Du stellst vielleicht Fragen. Selbstgemacht natürlich! Wie alles andere auch.
Und jetzt weißt du, warum ich von Talenten sprach. So etwas schafft nämlich nicht jeder. Auch nicht, wenn er Koch ist – was des Volkers Profession ist.
Dazu ließ er uns probieren, was der Terrine wohl besser bekommt: ein Montbazillac oder ein Sauternes. Wir testeten einen 96er Cht. Le Fage sowie einen 96er Cht. Mayne.Uns gefiel hier der Mayne mit seiner in Honigtönen und Anklängen an Exotenfrüchten fraglos präsenten, aber nicht mit einem Schluck das orale Rezeptorenfeld niederwalzenden Art, zu den Leberchen besser, als der Montbazillac. Zumal dieser einen kleinen Klebstoffton im Schwänzchen mitführte, der einen erbitterten Strauß gegen die Terrine ausfechten wollte.
Nach Wasser und Brot zum Auswischen der Mundhöhlen duftete uns ein ganzer Wolfsbarsch entgegen.
Nach dem Entgräten hatte den der Volker gefüllt. Mit gehackten schwarzen Oliven. Dann im Ofen gegart. Als Querschnitte thronte er schließlich auf einem Hügelchen kleingewürfelter bunter Paprika. Umgeben von einem Kreis Rotweinbutter. Der Fisch: auf dem Punkt, auf die Sekunde (und das in Minden, in der Westprovinz, staunten vielleicht die Landeshauptstädtischen. Aber, wie gesagt ...)
Der nach Beeren und ein wenig rosa Pfeffer duftende, weichfruchtige und harmonische 2000er Dom. de Fondreche, Cuvee Nadal, war bestens bereit, dem Fisch Geltung zu lassen. Umgekehrt verhielt es sich genauso. Das ist Höflichkeit, der man gerne begegnet!
Als Mundspülung folgte dann ein stimmiger, wenngleich etwas zurückhaltend wirkender 99er Cht. des Tours CdRh Reserve.
So benetzt jubelten die Geschmacksnerven über die folgende rosa gebratene frische Wildentenbrust aus den nahen Wäldern des Schaumburger Landes. Volker servierte das saftig-aromatische Federvieh kurzerhand auf Linsen und gab dunkle Geflügeljus, die er mit Trüffelöl und Butter aufmontiert hatte, dazu. Ich sage dir: allein schon die Jus ... strotzte vor Talent. So etwas kannst du nicht im Laden kaufen, versuch es erst gar nicht.
Neben dem Brüstchen funkelte es im dichten Purpur-Rubin. Eine volle Nase reifer Beeren mit Anklängen an Waldboden signalisierte schon den Bordeaux, der es weich und trinkreif verstand, sich einzuschmeicheln. Ein 93er war’s, ein Pichon-Lalande, der sich glänzend mit dem zarten Fleisch unterhielt.
Da hatte es der nachfolgende 96er Madiran von Labranche-Laffont schon ein wenig schwer. Dennoch zeigte er sich mit den Röstaromen des nachfolgenden Rinderschmorbratens, den ein Gratin aus rohen Kartoffeln sowie Kohlrabistreifchen begleiteten, bestens einverstanden.
Und weil der Wein schneller von uns ging, als die Schüsseln geleert werden konnten, versuchten wir – natürlich wie fast alle anderen Weine auch blind aus dem Jutesäckchen oder der Karaffe – noch einen Bordeaux dazu.
Allerdings muß ich hier gestehen, daß unser Talent hier nicht zum spontanen Aufdecken der Weinidentität auf Anhieb ausreichte. Die Cabernet wurde wohl benannt. Dennoch wollte man nicht ins Bordelais mit dem Rebsaft – es schien nicht ganz richtig. Merkwürdig, wirst du jetzt sagen, schließlich war es ein La Tour Haut Brion. Aber ... es war halt ein 91er. Und das sind schon etwas andere Bordeaux manchmal.
Zwar wirkte er nicht alt, aber er geizte doch ein wenig mit Charakter und auch seine Struktur erschien uns so etwas gelockert daher zu kommen. Schon - elegant kann man ihn nennen. Und dem Schmorbraten hielt er stand.
Aber ... der Bdx-Kick fehlte.
Einen Kick ganz anderer Art aber brachte uns die folgende Birnen-Roquefort-Tarte, frisch aus dem Ofen. Mit Ingwer raffiniert marinierte Birnen wurden mit dem Blauschmimmligen auf Blätterteigboden gebacken und heiß serviert.
Dazu wechselten sich eine Riesling Auslese, ein 99er Schodener Herrenberg vom gleichnamigen Weinhof (die Auslese Nr. 3 war’s) und eine 90er Auslese von Keller, vom Dalsheimer Steig ab. Letztere Auslese entstammte (Werner, jetzt mal weghören) der Huxelrebe. Und ob du’s glaubst oder nicht, uns gefiel die Huxel mit ihrem schönen Säurespiel und der dichten Süße. Schön auch der Herrenberg-Riesling, ganz ohne Frage. Aber in der Kombination mit der Tarte trug die Huxel diesesmal die Trophy davon – ihre Birnenseite passte sich einfach herrlich dem Ofenteilchen an.
So. Von wegen Grünkohl. Und wehe, du wirbst uns jetzt den Volker ab. Dann ist’s nämlich aus mit Lustigen Hannoveranern. Und die Rezepte kriegst du auch nicht. Der Volker muß sich nämlich selbständig machen. Klarer Fall. Und wir übernehmen das Management.
Ich seh’s schon vor mir. Wie er sich wohl auf T-Shirts machen wird, der Volker? Schon mal die Fernsehrechte sichern. Von wegen Kochduell unter der Hitze des Bio-Lecks oder so. Gleich morgen.

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