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Nennen wir es Stammtisch

Seit die nicht mehr aus Menschenhand in Menschenhand gehen, sondern Stahlsäulen über die Herausgabe wachen, sind die Dinge nicht wenig kompliziert geworden. Auch ein Grund, weshalb ich lieber mit dem Wagen fahre. Du willst eine Fahrkarte? Dann wähle doch bitte aus den etwa 47 möglichen Fahrkartentypen:
bist du ein Einzelfahrgast, wähle zuerst deine Altersgruppe, den Business-Travel- oder Privat-Tarif; oder bilde eine Groß- oder Kleingruppe, eine Eltern-Kind-Gruppe, entscheide dich für den Happy-Hour- oder Mondschein-Tarif, das Niedersachsen- oder das Großraum-Entdecker-Ticket, Schönes-Wochenende-Ticket, Länder-Ticket, NetzCard, BahnCard, InterRail- oder Verbundtickets sowie Geschenkgutscheine.
Hast du gewählt? Das bedeutet gar nichts. Jetzt braucht der Stahl die Kennziffer. Die nämlich sagt dem Koloss, welche Tarifzonen du mit dem gewählten Ticket durchreisen willst.
Ziffer 4711. "Nicht an Wochenenden".
0815. "Ungültige Kombination".
007. "Lizenz abgelaufen".
Und jetzt stell dir vor: du bist auf dem Weg zu deinem Stammtischtreffen. Da du dich im Zettelkrieg auskennst, hast du deinem Stammtischkumpel die Ticketbesorgung überlassen. Aber der ruft dich etwa 4 Minuten vor Eintreffen deines Zuges auf dem Bahnsteig an: Ticketspender klemmte, besorge du doch für uns als niedersächsische Kleingruppe ohne Hund und Rentner das Entsprechende...Müßig zu erwähnen, daß das nicht hinhaut.
Selbst geübte Ticketzieher benötigen ihre 17, 18 Minuten. Und nun bist du in der Pflicht. Einerseits dem Stammtisch gegenüber, der auf dich warten wird, wie du hoffst. Andererseits der Deutschen Bahn. Klar, wer hier den Kürzeren zieht.
So es dir gelingt, dein angetrautes Weib, welches guter Hoffnung war (das Ticket zu ergattern), mit sanfter Gewalt zur Schwarzfahrerin zu machen, natürlich.
In der Bahn dann: ein nordisch kühl reagierender Stammtisch-Kumpel (nennen wir ihn Gerrit), eine angespannt wirkende Ehefrau, die mit dem Makel, zur Bahnkriminellen gemacht worden zu sein hadert (nennen wir sie Maren) und du (nennen wir ihn: ich).
Ziel ist ein Ort, was sage ich, ein Dorf, ein Weiher, im Schaumburg-Lippischen.
(Der Hannover-Stammtisch funktioniert nach dem Motto: Hannover ist, wo das Herz ist. Oder der Wein.)
An der Bahnstation sollten wir abgeholt werden. Sollen und Sein - beschäftigte schon die Größten unter den Philosophen. Warum also nicht auch uns ... Der gastgebende Stammtisch-Kumpel (nennen wir ihn: Joachim), durch einen desinformierenden Telefonanruf in die Irre geschickt, wähnte uns auf dem Autotransfer.
So half zu diesem Zeitpunkt nur die Feldbusch-Auskunft, du weißt schon: "da werden Sie geholfen", und so in etwa stellte sich das Ganze dann auch dar: den Nachnamen gab es ein paarmal in der Gegend, nicht jedoch kombiniert mit dem Vornamen (nennen wir ihn: Joachim). Doch das Schöne an Dörfern, Weihern gar: jeder kennt nicht nur jeden, sondern ist zudem auch verwandt.
Und so findet man sich dann schließlich. Irgendwann.
Und wird postwendend belohnt mit außerordentlichem Stammtisch-Gedeck. Zumindest in diesem Fall. Nix von wegen: kleines Besteck ... Zur zunächst einmal nötigen Abkühlung bekam ein jeder von der Oberin der Stätte (nennen wir sie: Doris) in Windeseile einen 01er Riesling Spätlese halbtrocken aus der Trittenheimer Apotheke von Ansgar Clüsserath in die Hand gedrückt. Irgendwie verdunstete der dezent restsüße Vitalisierer in Rekordzeit.
Die ideale Kleinoase im Glas bei wüstegobischen Außentemperaturen.
Der größere Bruder, die trockene Auslese gleicher Herkunft und gleichen Jahrgangs, wurde kurz darauf zum Begleiter eines für den durchschnittlichen niedersächsischen Stammtischler exorbitant ungewöhnlichen Speisenauftaktes ernannt: eines Salats aus frischen grünen Algen mit Garnelen. Kannte ich vorher nicht. Werde ich aber nicht vergessen.
Selbst professionell mit Ausspeisungen betraute Stammtischler (nennen wir sie Volker und Ina) sehen so etwas nicht täglich. Und essen - schon gar nicht ...
Die Auslese dazu war passend gewählt. Wenngleich dieser Riesling so gar nicht auslesisch daherkam. Meist bekommt man solche Weine in heruntergestufter Prädikatsform, wegen des Feelings ... hier halt mal nicht. Ging nichts desto trotz eine tolle Liaison mit Neptuns Grünzeug ein (das übrigens frisch aus französisch-Saarland angereist kam ... Beziehung muß man haben, nennen wir sie wieder Doris).
Waren die Algen schon franko-originär, so die nachfolgenden Weine fast ohne Ausnahme.
Mediterran sollte das Menu sein, also ... gab's zunächst eine handvoll Rose. Zwei 01er aus der Provence (Dom. de Marchandise) und dem Corbiere (Dom. de Demoiselle) und einen 00er Tour du Bon, Bandol rose. Die Anwesenden (nennen wir sie Hannover-Stammtisch) votierte für den ausgewogenen Bruder Leichtfuß Marchandise, wenngleich der eine oder andere (nennen wir ihn Gerrit) die Säure sich etwas knackiger gewünscht hätte.   Die Demoiselle warf zu freizügig mit Himbeerdrops um sich (die fiesen, dicken, mit den Knubbeln auf der Oberfläche).  Der Bandol ließ ein Zupacken vermissen.
Weit überschattet wurden diese drei Ereignisse aber durch die Kraft eines kulinarischen Bebens. Die Fischsuppe des Meisters (nennen wir ihn wieder Joachim), geköchelt aus vielerlei Fischkarkassen und einem ganzen Haufen Flußkrebse, die dem Gaumenschmeichler Konsistenz und Geschmack verliehen, dann immer wieder durchpassiert und durchpassiert, passierte halt schließlich uns. Garniert mit Brotcroutons, Sauce Rouille und Käseraspeln war kaum jemand da am Tisch, dessen Teller nur einmal geleert wurde (die Zahl meiner Nachportionen verschweige ich lieber ...). Mit Ausnahme der Vegetarier (nennen wir sie Maja und Michael), denen hiermit noch einmal für die Extraportionen gedankt sei.
Der erste Rote, der sich traute und sogleich den eher unbedachten Ausruf "endlich Wein" provozierte (nennen wir die Quelle einmal Gerrit) sollte von selbiger Domaine Marchandise stammen. Ein 98er Cotes de Provence, der alles hatte, was man sich hier wünschte. Nicht nur in Würdigung des moderaten Preises: ein wirklich kompletter Wein und würdiger Herold, der auf eine lange Nachkommenschaft (an nachfolgenden Rotweinen für den in diesem Augenblick noch jungen Abend) verweisen wollte.
Diese Nachkommenschaft nun wurde durch eine in der Tat lange Reihe gebildet, so daß der Protokollant (nenne wir ihn: ich) sich rückschauend nicht wirklich sicher über die Reihenfolge ist. Was auch dir (nennen wir dich: geneigten Leser) einen Hinweis darauf gibt, daß der Protokollant kein eigentlicher war.
Denn geführt wurde keins. Kein Protokoll. Obwohl es der Abend verdient hätte. Aber - vielleicht war er auch eben der Abend, der er war, da er keinem Protokoll unterlag. Trotzdem diese Geschichte hier (nennen wir sie Bericht, irgendwie).
Und nennen wir den Nachfolger einmal Cht. des Donjon, 99er Minervois - den der Tisch als gelungen produziert bedachte;
dessen Gefolgschaft nennen wir nun 98er Dom. Comps, Cuvee Le Solleiller aus St. Chinian und diesen wiederum packend. Mit Aroma, Struktur und merklichem doch passendem Tanningerüst ausgestattet, verlangte er geradezu nach den geschmorten Lammhaxen des Maitre (nennen wir ihn Joachim), die uns dann gemeinsam mit gratinierten Kartoffeln, Tomaten und Zucchini die Teller füllen und wohlschmecken sollten.
Der 98er Cuvee Sextant von den Vignerons des Mont Tenarel d'Octaviane aus dem Corbiere, eine der Premium-Cuvees der Cooperative, wurde von einer Stimme (nennen wir sie wieder einmal Gerrit) als "schwülstig" charakterisiert. Gemeinhin wurde beim Sextant der aufrechte Stand im Bewußtsein seiner selbst, mit dem sich der Comps nicht schwer tat, ein wenig vermißt.
Der 97er Cht. Mandagot Grande Reserve wurde gastfreundlich aufgenommen und ebenso leichtherzig wieder verabschiedet.
Länger festgehalten wurde da schon der 99er Dom. de la Tour du Bon, diesmal als roter Bandol. Aber der ließ einen selbst ja auch nicht so schnell los. Blieb mit seinen Vorzügen lange haften, charakterlich.
Und eigentlich hätte der Folgewein noch mehr Vorzeigewein sein sollen - war es doch die Ste. Ferreol benamte Extra-Nobel-Cuvee des Tour du Bon. Von 98 diesmal. Doch er wirkte etwas angeknabbert gegen seinen vorgeblich schlichteren Bruder. Besser reifen soll er. Sagt man. Doch ein paar Jahre hätte man dem 99er Frater Einfach ohne weiteres eh zugestanden. Und das bei bester Gesundheit, versteht sich. Daher lobten die meisten Stimmen in der Runde (nennen wir sie unter anderem ruhig Maja und Michael) eben jenen und ließen ihre Excellence Ste Ferreol ein wenig beschattet.
Der 98er Les Sigillaires aus St. Chinian von Moulinier kam würdevoll daher. Eigentlich mit all dem ausgestattet, was der mittlere Adel des Weines mitführen sollte. Er konnte schmeicheln, ein wenig angeben hier oder da, in seiner Art gewinnend wirken und sich rundherum in bester Gesellschaft bewegen.
Doch der kritische Kritiker (nennen wir ihn Gerrit) wollte mehr Persönlichkeit, Ich-Gefühl.
Persönlichkeit war der Nächste, der Cedre, Cahors, 94, schon. Kein schroffer Schrat mehr, vor dem der Weinnachwuchs heulend davon läuft. Aber von Schmeichler keine Spur. Er zeigte seine Seele bereits, und die war freundlich zu den Menschen guten Willens. Aber Zeit braucht der, wenn man ihn aus seiner Höhle heraus haben will.
Keine Höhle für den 98er Dom. de Courteillac; der läßt sich jetzt schon schön abschmecken. Ein kleiner Bordeaux, aber ein superior schöner. Cabernet, sagt gleich die Nase, und der Mund läßt sich gut befüllen. Ein schöner Trinkspaß, ist der.
Mehr noch dann: der 99er Chambolle Musigny von der Dom. Philippe Charlopin-Parizot. Wenn dir mal gesagt worden ist, daß du einen guten Burgunder als wohlbeleibten, gemütlichen aber charakterfesten Mönch visualisieren kannst und dir das noch nicht gelungen ist - hier ist der Stoff dazu. Sinnesfreudig, ausgeprägt.
Aragon: aber das ist doch kein Gebiet!, rief einer aus (nennen wir ihn Gerrit). Dennoch kam er daher: der 98er Venta d'Aubert, aus dem Bajo Aragon. und er brauchte sich nicht zu verstecken.
Obwohl er mir nach dem Chambolle als Wein zum Abtrinken, Abspannen, Abschweifen vorkam.
Eben so auch - nach dem Käse dann - die 01er Riesling Spätlese aus der Apotheke, wieder von Clüsserath.
Aber da war es auch schon etwas später geworden.
Und vergessen habe ich einen schönen Rotwein. Gemacht von einer Schweizerin in Frankreich, deren Domaine irgend etwas mit einer Scheune für vier Pfennig zu tun hat. Ein Wein, der gerade auf der Genußskala ein großes Vielfaches wert ist.
Und wie du siehst: eigentlich habe ich den auch gar nicht vergessen. Und damit das auch garantiert nicht passieren wird, werde ich mir den mal besorgen - schließlich hat der Stammtisch-Kumpel (nennen wir ihn Joachim) ja irgendwie mit Wein und den Vertriebswegen zu tun; der wird das schon hinkriegen. Und außerdem haben Stammtisch-Kumpel (nennen wir sie Ina und Volker) diesen Wein bereits irgendwo aufgetan.
Ein Abend zum Wohlfühlen war's also. Unbedingt!
Einer von den Abenden, an der man (nennen wir ihn Gerrit) ohne weiteres schon auch mal in eine kleine Stille mit dem Ausbruch: "GV jetzt!" platzen konnte. Nicht, daß du jetzt glaubst: der macht das immer so, wenn der sich wohl fühlt. Und irgendwie hat der damit ja auch Wein gemeint. Hatten wir doch irgendwann am Abend ein neues Stammtischthema gesucht. Und klar, daß der dann "Grüner Veltliner" meinte.
Und da ich schon mal drin bin, hier im Forum, wo sich ja auch liebe österreichische Weinweltbürger befinden, frage ich doch mal ganz frech, für den Hannover-Stammtisch, ob wohl jemand von euch die Möglichkeit sieht, uns da adäquat zu bestücken. Mit GV. Jetzt. Selbstverständlich haben wir eine ausgeprägte Zahlungsmoral.
Sagt doch mal was ... Koal, Knalli, ... (ist ernst gemeint). Selbstverständlich könnt ihr auch selbst mitkommen ...
Bis dahin

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