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Tatort

Ich verließ die Stadt auf der Ausfallstraße. Im Berufsverkehr sah sie meist aus wie der längste Parkplatz der Republik. Um diese Zeit aber war hier nicht mehr viel los. Das Radio spielte einen Song von Keb Mo und ich begann, mich ein wenig zu entspannen. Als ich die Stadt ein paar Kilometer hinter mir gelassen hatte, bog ich in eine Hofzufahrt ein.
Auf dem nur schwach beleuchteten Vorplatz befanden sich bereits einige Fahrzeuge. Kombis, Limousinen, das meiste waren Mittelklassefahrzeuge, recht typisch für den Anlass.
Als ich das Haus betrat, kam mir Greg entgegen. Er sah reichlich mitgenommen aus, beinahe ein wenig grün im Gesicht. Er faßte mich kurz seitlich am Arm und ging wortlos voraus.
Um Fassung ringend sagte er im Flüsterton: "sie sieht furchtbar aus."
Greg hatte so etwas schon öfter mitgemacht, und seine Verfassung gab mir zu Denken. Aber so ist das, der Wahnsinn greift uns unmerklich, packt uns an den Säumen und geht im Schleichgang auf unseren Kern los. Ich sah auf die Uhr, ein wenig nervös, wie immer an einem Tatort wie diesem. Ich stellte mich auf das Schlimmste ein. Ließ meine Augen zu bloßen Kameraobjektiven mutieren, aufnahmebereit, aber nichts wirklich durchlassend. Nur so konnte ich im Gleichgewicht bleiben. Als ich schließlich das Zimmer erreichte, standen eine Handvoll Leute um den Tisch herum. Die übliche Versammlung.
"Was haben wir?", fragte ich in die Runde.
"Zwei, die es übel erwischt hat. Wir haben die Austrittsöffnungen freilegen können, es sieht aber insgesamt nicht gut aus."
"Das, was ich vermute?"
"Wir sind noch nicht soweit, könnte aber gut sein."
"Verdammt, schon das achte Mal in dieser Woche."
"Ja, und es sieht nicht so aus, als ob das hier die letzten sein würden."
Beklommen sahen wir uns an.
"Zeig mir, was ihr habt", bat ich.
Auf zwei silbrigen flachen Schalen lagen sie.
Es schauderte mich. Kurzzeitig mußte ich mich abwenden. Daran kann man sich einfach nicht gewöhnen, so oft man auch damit konfrontiert wird.
Beruhigend klopfte mir Greg auf die Schulter.
"Na gut", brummte ich, und wandte mich dem ersten zu.
Ja, er war’s. Kein Zweifel, er hatte wieder zugeschlagen.
Ich hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger.
Schäbiges Granulat-Klebstoff-Gemisch, auf die billige Tour industriell hergestellt, als Produkt unter dem beschönigenden Namen "Preßkork" im Handel. Ein hinterhältiger Killer.
Aber warum war dies möglich ... schon wieder, immer wieder? War es Leichtsinn, die blinde Hoffnung, er würde damit aufhören, es zu tun? Das Opfer war noch jung. Es hätte einmal eine schöne Cuvee werden können. Nun aber war dieser Traum ausgeträumt. Traurig blubberte es aus der Austrittsöffnung in das Analysegefäß. Das berüchtigte Trichloranisol, Gevatter des Preßkork, hatte ganze Arbeit getan. Mit leicht vibrierender Hand trat ich an das andere Tablett. Sogleich konnte man den Blender erkennen. Als Naturechter wollte der daher kommen, schade nur, daß er völlig denaturiert war. Optisch geschönt mit Chlorbleiche oder Peroxid. Um sicher zu gehen schnitt ich ihn auf. Das war der Beweis. Äußerlich hell und mit geschmeidig-glatter Oberfläche, die den Acrylkunstoffüberzug verriet, zeigte sich innerlich eine deutlich dunklere Färbung. Acrylkunstoffüberzug? Auf einmal war ich nicht sicher. Konnte auch ein Gleitmittel sein. Paraffin oder Silikon. Von wegen: Naturkorken. Hah, daß ich nicht lache ...
Der war vielleicht noch schlimmer als der Preßkork ... perfider. Und auch er hatte seine Arbeit verrichtet. Schon als der Schwall blutrot über die Austrittsöffnung wogte, konnte man es ahnen. Die Diagnose: Trichloranisol. Wieder der "Korkschmekcer". Tage wie dieser machen einen fertig. Und dabei wäre es so einfach. Ein wenig mehr Vernunft. Aber es scheint hoffnungslos.
Mit zementgrauen Gesichtern sahen wir uns an. Schulterzuckend verließ ich den Raum. Ich werde auch diese Nacht wieder unruhig schlafen. Von Pentachlorphenol träumend, das sich in den Rinden der Korkeiche verkrallt, vom gehörnten Trichloranisol mit dem Dreizack.
Und kein Ausweg.

 

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