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Wittekinds Stamm

Wittekinds Stamm. Kennst du. Wenn du schon mal länger in Hannover warst.
Auf jeder mittelschweren Party wird er dir mit nach Sol-Eiern, Harzer Käse, Sauergurken, Korn und Bier riechendem Atem entgegengegrölt: der "Lustige Hannoveraner". Nicht daß du jetzt glaubst, das sei nun wirklich eine lustige Angelegenheit – nein, ernste Angelegenheit das! Schließlich: das Stammeslied derer aus dem Hannöverschen. "Heil Herzog Wittekinds Stamm", rufen sie da. Und meinen sich. Ganz ernsthaft mit Kennerstolz und erfüllt mit Bewußtsein, dem standhaften Sachsenherzog nachzukommen.
Womit und wobei auch immer.
Nun glaub aber ja nicht, daß jeder aus Hannover so automatisch zu dem Stamm dazu gehört. Du mußt dich schon beweisen. Sofort wissen, welcher Gesichtsausdruck aktuell auf "Na - 96 ... ?!?" erwartet wird. Jedes Zögern wird beargwöhnt. Ausschluß aus der Stammesschaft droht.
Und sofort ausgewisen wirst du bei der falschen Antwort. (z.B.: "nee, lieber 17 und 4 ...", das kommt ganz schlecht an. Stammesstolz – das gehört einfach dazu). Da hilft auch kein Stammbaum oder ´ne Kiste Herrenhäuser Bier als Angebot zur Beruhigung des fußballbegeisterten Stammesgemüts.
Das einzige, was dann noch geht ist: eigenen Stamm aufmachen.
Sonst bleibst du halt alleine. Aber Obacht: dafür braucht’s so Einiges. Ein Stammlokal wäre nicht schlecht. Oder – etwas kleiner geht’s halt auch – ein Stammtisch.
Und den haben wir dann halt gebaut. Den Hannover-Stammtisch.
Angeschlossen an die Stammesgemeinschaft W+ im WWW.
Mögen die Häuptlinge der großen Stämme Köln (hallo, Egon) oder Hamburg (der heimliche Manitou HHs heißt Traute, aber das wissen nur wenige ...) uns auch belächeln – wir haben auch unseren Stammestolz.
Jawohl.
Nix 96.
Aber, zum Beispiel:
den Volker.
Auf den sind wir stolz.
Denn wie es sich für einen Stamm gehört, haben wir unsere, unsere Stammestreffen halt. Bei denen es eine zeitlich und umfänglich nicht regulierte Ausspeisung gibt (die soll’s ja bei anderen Stämmen im W+ geben, wie man hört ...). Und manchmal ist es eben der Volker, der ausspeist. Und dann gibt es. Aber richtig!
Wie erst jetzt neulich. Auf dem Katalonien-Thing.
Die Eröffnungsansprache hielt Masach’s Vina Cantibel Cava. Reserviert. Brut. Für einen unkomplizierten Einstieg an einem sonnigen Spätnachmittag gerade richtig.
Richtig auch, um die Kehle freizuspülen für Volkers marinierten Spargel – auf den Punkt gegart und den Appetit der Stammesgenossen anstachelnd.
Ein 2000er Chardonnay Heretat Vall-Ventos aus dem Penedes stellte sich als angenehmer Typ vor, ein klein wenig mit Exotik kokettierend ... stand aber vornehmlich auf Gummibärchen.
Während wir uns dann doch lieber an einem ganz frischen Ziegenfrischkäse aus der Gegend – einmal mit angebratener und mit einer Zwiebel-Tomaten-Knofi-Balsamiko–Marinade geschwängerten Paprika, ein anderesmal mit frischen Kräutern – erfreuten.
Katalonien, wirst du sagen. Ist das nicht recht weit weg vom Stamm?
Du kannst überall Bekannte treffen, sage ich dir. Oder solche, die sich dafür ausgeben.
Wir trafen Waltraud. Waltraud ist ein katalonischer Riesling. Von 99. Und von Torres aus dem Penedes.
Dieser, oder sollte ich sagen: diese, trug ein leuchtendes Goldgelb mit Grünreflexen, was Rieslingen (ob männlich oder weiblich) bisweilen recht gut steht. Die aromatische Nase mit einer Frucht ganz reifer Birnen, Mirabellen etc. zeigte schon einen kleinen Reifeton. Gereifte, weiche Frucht der Halbtrockenen auch im Mund. Ohne Fehler, aber nicht wirklich aufregend. Etwas für die Jäger und Sammler im Stamm – die Exotentrophäe des Abends: Riesling aus Spanien. Obgleich: ein verirrter Schluck zu Volkers fast vollkommen klarer Gemüsesuppe aus Tomaten, Staudensellerie und allerlei anderen vegetabilen Dingen ließ Waltraud wachsen. (Volkers Suppe wird für Waltraud-Proben in Postpäckchen versand. Vorkasse erbeten.)
Der folgende rubinige 99er Pinord Clos 15 Merlot, Finca Coll de Bou zeigte waltraudische Solidarität und stieß uns zunächst mit relativem Fruchtmangel im Mund vor den Kopf. War schon die Nase zunächst vorrangig von Röstnoten wie Kaffee oder Toast, Holz, Cocos etc. geprägt, so überraschte der Mund erst mit einer Vielzahl holzgeprägter und karamelisierter Aromen. Selten so leckeres Holz getrunken. Wirklich wahr. Und dann: ein langer Kaffee-Nachhall.  Mit der Zeit aber trauten sich Beeren, vor allem Holunder hervor und der Wein komplettierte sich. Es gibt halt auch schüchterne Früchtchen.
Anders gerierte sich hier der 99er Atrium Merlot von Torres. Auch dieser aus der Eiche, aber mit einem von vornherein gut ausbalanciertem Frucht-Holz-Komplex sowohl in Nase wie Mund. Eleganz und Energie – um das mal mit einem Wortschlag abzuhandeln.
Der 99er Castell del Remei, Gotim Bru von der Costers del Segre aus Tempranillo, Merlot und Cabernet sprach: ich bin der, der ich bin. Eigenständig vom gelegentlich (gar nicht unangenehm) an ein "plateau de fruits de mer" nebst etwas Harz, Beeren, Kräuter erinnerndes Bukett über einen ausgeprägt aromatischen Mund mit reifer Beerenfrucht und dezentem Holzeinfluß bis zum langen Nachhall.
Da wurde der Stamm wieder hungrig und Volker mußte erneut ausspeisen:
frische Bandnudeln mit Gambas und Bärlauch setzten uns in extrem menschenfreundliche Stimmung. Für mich nicht gerade der Normzustand dieser Tage ... Der Wein trug sein Scherflein dazu bei.
Zum Beispiel der 99er Lasendal Garnacha von der Celler Cooperativu de Capcanes. Ein Tarragona, der eigentlich schon im Priorat ist. Aus der Zona Falset. Eine sich zunächst etwas zögerlich preisgebende Nase, schön mit Holz und Frucht durchwirkt, verhieß Eleganz und Dichte, die das aromatische Mittelgewicht im Mund auch recht gut zeigte. Die Säure war vielleicht etwas vorwitzig, ließ dafür aber den Alkohol vergessen und regte den Speichelfluß an. Sabbernd wie Bordeaux-Doggen stellten wir, bevor wir Servietten herumreichten noch fest, der Wein stehe auf feinem Tannin und zeige schöne Frucht.
Ähnlich schön präsentierte sich auch der 99er Mas Collet vom selben Erzeuger aus Garnacha, Cabernet Sauvignon, Tempranillo und Carinena. Etwas dichter vielleicht noch, mit langen Mundaromen und gutem Abgang. Doch Abgang ist immer nur dann gut, solange noch Wein als Nachschub da ist. Und das war gottseidank so ...
So der dritte Capcanes. 99er Vall del Calas aus Merlot, Garnacha und etwas Carineno und Tempranillo. Komplex, nuanciert, schöne Dichte, Fülle und ... Energie. Er erhob sich klar über seine – keineswegs geringen – Vorgänger.
Gemeinsam begleiteten sie sehr schön Volkers Lammhaxe mit Kartoffelgratin und weißen Bohnen mit Tomatenwürfeln, Lauchzwiebeln und Petersilie.
Der vierte Capcanes, der 99er Costers del Gravet aus Cabernet, Garnacha, Carinena und Tempranillo zeigte sich noch etwas reserviert. Sicherlich mit Saft und Kraft ausgestattet, wurde er ein wenig von seinem etwas grob wirkenden Tannin ausgebremst. Auch schien er uns weniger interessant als der Vall del Calas.
Die 99er Etim Selection von der Agricola Falset – ebenfalls aus dem Tarragona-Falset – schließlich schien uns nicht ganz so gut im Gleichgewicht wie die Genossen von Capcanes.
So daß wir schließlich einen roten Dessertwein von den letzteren, einen 99er Pansal des Calas aus Garnacha und Carinena, kreisen lassen mußten. Obwohl vielleicht etwas alkoholisch in der Nase (16,5%), zeigte sich dieser Wein ob seiner prägenden 16 Monaten in neuen Barriques aus französischer Eiche und wegen seines kräftigen Tanningerüsts als überaus interessant.
So daß wir, als Volker’s Creme brulee plus Rharbarberkompott durchgereicht wurde, äußerst zufrieden waren mit der Capcanes-Erfahrung, die uns der Thing eingebracht hatte. Vielleicht nicht ganz mit dem Abgang des letzten Weins - was aber daran liegen mag, daß es nach diesem eben keinen Nachschub mehr gab.
Klar kannst du jetzt sagen: Moment, Katalonien-Thing und kein Priorato dabei?
Was soll ich sagen: wir sind zwar nur ein Provinz-Stamm und lassen es uns mit möglicherweise kleineren Gewächsen gut gehen ... das Priorat aber fehlte - nicht, weil wir dieses älteste katalonische Weingebiet vergaßen, sondern weil wir bereits zu anderen Gelegenheiten bestens gefüllt worden waren mit Erzeugnissen von Priorat-Bodegas. So. Klargestellt! Wir haben nämlich auch unseren Stolz.
Denn vielleicht sind auch wir irgendwo und möglicherweise etwas ... von Wittekinds Stamm.

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