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MahlZeit

"Der Mann ist ein Virtuose, ein Genie, ein Zauberer, ja, ein Zauberer!"
Meine Euphorie wurde von der schorfigen Tür zurückgeworfen, prallte am Panzer meines Begleiters ab und trudelte die Straße hinunter, wo sie sich auf den ersten Passanten warf, der erstaunt aufsah.
"Das hier ist Ihr Heiligtum? Das kann doch wohl nur ein Witz sein, Lola."
Ich ignorierte Hartmanns Zweifel – schließlich hatte er wieder und wieder darum gebeten, einmal mitkommen zu dürfen, – und er hatte recht: das Entree machte tatsächlich einen heruntergekommenen Eindruck. Bevor ich meine Hand auf die Klinke legen konnte, schwang die Tür auf, ein Handschuh streckte sich mir entgegen und eine weiche Stimme sagte:
"Wie schön, Sie zu sehen, meine Liebe."
Der Handschuh legte sich um meine Finger und zog mich in die Dunkelheit. Er gehörte zu einer Gestalt, die in ein kaftanartiges Gewand gehüllt war, das in sanften Wellen mit dem Dämmerlicht verfloß. Über dem schattenhaften Körper saß ein ein rundes, faltenloses Gesicht, fast ebenso weiß wie der Handschuh, das mit verhangenen Augen auf die Welt sah. Aber ich wußte, daß in den nächsten Stunden Argusaugen unser Wohlergehen – oder dessen Gegenteil – zur Kenntnis nehmen würden. Ich hörte Hartmann hinter mir scharf Luft holen, und wandte mich um.
"Ich möchte Ihnen DiFosca vorstellen – er ist sozusagen der gute Geist des Hauses."
DiFosca kicherte, legte eine Hand unter meinen Ellenbogen, bedeutete Hartmann mit der anderen, an der Tür zu warten und geleitete mich an unseren Tisch. Dann glitt er zurück zu Hartmann, der mißtrauisch in den Raum starrte, dessen Begrenzungen in der Dunkelheit nicht zu erahnen waren.
"Mein Herr, ich muß Sie bitten ...!"
Hartmann blickte hilfesuchend zu mir herüber.
"Sie müssen ihm Ihre Uhr geben."
"Meine Uhr? Aber das ist eine ... !"
"Patek Philippe. Ich weiß. Nur keine Sorge, Sie bekommen sie nachher unversehrt zurück."
Widerstrebend legte Hartmann die Uhr, die ihm mehr als alles andere am Herzen lag, auf den Handschuh, der ausgestreckt blieb.
"Mein Herr!"
Hartmann wurde rot, nestelte eine Taschenuhr aus seiner Weste und gesellte sie zu ihrer Vorgängerin. Ich lachte, während Hartmann schlechtgelaunt auf seinen Stuhl fiel.
"Das ist ja eine abscheuliche Höhle. Da stellt man sich lieber nicht vor, wie der große Meister aussieht!"
"Den werden wir auch nicht zu Gesicht bekommen. Er scheut die Öffentlichkeit."
"Sehr verdächtig. Ich weiß wirklich nicht, was Sie sich dabei gedacht haben, Lola."
Ich hatte mir gar nichts gedacht, ich tat ihm nur einen Gefallen, denn er war neugierig und wußte, daß ich hier, wo man nicht so leicht Zugang bekam, Stammgast war. Und vielleicht würde er verstehen ... ?
"Ich frage mich, ob das wirklich eine so exzellente Adresse ist. Wir sind die einzigen Gäste!"
"Oh, das wird sich ändern. Sie werden sehen – vielleicht. Hoffentlich."
Hartmann schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an.
"Sie reden mal wieder Unsinn."
Ich schwieg. Wie hätte ich ihm begreiflich machen können, was ich hier schon erlebt, welche Gespräche ich geführt und wie ich mich gesammelt und zerstreut hatte. Hartmann war gepanzert mit Sekunden und Minuten, die immerfort von ihm herabrieselten und sich zu einer geraden Linie formierten, auf die er sein Leben fädelte: Information, Effektivität und vor allem Schnelligkeit.
"Kümmert sich eigentlich mal jemand um uns, oder sollen wir bis in alle Ewigkeit warten?"
Hartmann zuckte leicht, als ein Glas mit einer perlenden Flüssigkeit vor ihm abgestellt wurde und DiFoscas leise Stimme auf ihn herabfiel:
"Der Maître begleitet Sie heute mit dem Menu Nohant. Als Apéritif, meine Liebe, mein Herr, ein vorzüglicher Crémant de Loire.
DiFosca zwinkerte mir zu, und mein Hals wurde trocken vor Erwartungsfreude. Ich nahm einen Schluck und fühlte dem flüssigen Leuchten nach, das sich in meinem Blut verteilte und meine Sinne schärfte.
"Nun, Hartmann?"
"Nun - was?"
"Wie schmeckt er Ihnen?"
"Jaja, geht schon. Hören Sie, wir sollten uns morgen schon um sieben Uhr treffen, dann können wir die wichtigsten Details vor der Sitzung noch einmal durchgehen. Wann geht das hier endlich weiter? Ich habe keine Zeit ..."
"Sie lügen, mein Herr."
Entgeistert starrte Hartmann DiFosca an, der zwei Teller vor uns zurechtschob.
"Feldsalat mit Trüffeln und Sauternes. Ich wünsche viel Vergnügen."
Hartmann schluckte seinen Ärger hinunter und machte wütend den zarten Blättchen den Garaus, während ich das Arrangement mit Augen und Nase aufsog und behutsam eine Trüffelscheibe in meinem Gaumen balancierte.
Für Hartmann waren Genüsse aller Art im Grunde Zeitverschwendung. Wahrscheinlich sammelte er wie ein Hamster die Sekunden in seinen Backentaschen, worauf ihm nur ein schmaler Pfad in der Mitte der Zunge blieb, durch den er Nahrung quetschte. Ich konnte es kaum mit ansehen, wie er die Zeit verlor.
Am Nebentisch nahm ein stämmiger Herr mit schwarzem Schnurrbart und Hängebacken Platz und bestellte sich einen Kaffee. Aufgeregt nickte ich ihm zu und beäugte Hartmann, der den neuen Gast ignorierte und sich beklagte:
"Das schmeckt fad."
Fad? Ich stibitzte eine Gabel von seinem fast leeren Teller und kostete dieselben herrlichen Aromen, die auch von meinem Teller aufstiegen. Betrübt schüttelte ich den Kopf. Doch da wir erst am Anfang waren, gab es noch Hoffnung.
"Lassen Sie sich doch einmal Zeit, genießen Sie ..."
"Ach was. Ich muß noch einige wichtige Unterlagen studieren. Ich habe es eilig und hoffe nur, daß das hier nicht so eine ellenlange Soundsoviel-Gänge-Geschichte wird."
Ich hätte ihn nicht mitnehmen sollen, er war zwar neugierig, aber rastlos. Der Herr am Nebentisch beugte sich zu mir und betrachtete Hartmann eingehend.
"Monsieur sieht schlecht aus, ist etwas nicht in Ordnung?"
Ich hob die Schultern und nickte bekümmert. Die Gemüsebouillon mit Pastinaken wurde zum reißenden Fluß durch Hartmanns Schlund, die gebratene Alse, kaum aufgetragen, zerfetzte er rücksichtslos mit seinem Messer. Eine Dame mit olivfarbenem Teint, die sich zu dem Herrn am Nachbartisch gesellt hatte, hörte ich " ... so blaß" murmeln. In der Tat schien Hartmann nicht ganz auf der Höhe, obwohl er wie aufgezogen durch das zarte "Huhn à la Richelieu" raste. Auch die "Suprême Praliné" hielt seinem pausenlosen Malmen nur kurz stand und ließ ihn in einem bedauernswerten Zustand zurück. Hartmanns Hände zitterten und seine trüben Augen schienen kaum zu sehen, obwohl der Raum nun in angenehmem Licht badete. Hartmann stieß sein Weinglas um, der Chenin Blanc spritzte auf den Nachbartisch.
"Verzeihen Sie die Ungeschicklichkeit", entschuldigte ich mich.
"Mit wem reden Sie da, Lola?"
"Ich hatte es befürchtet, Hartmann, Sie haben nichts verstanden. Es kommt darauf an, goßzügig zu sein; wenn man bereit ist, die Zeit zu verschwenden, kann man hier die Geister der Zeit treffen. Heute abend habe ich das Vergnügen mit Monsieur de Balzac und Madame Sand. Und wenn ich nicht irre, heißt der Herr, der gerade eingetroffen ist, Monsieur Flaubert."
"Unsinn ... niemand ... ich kann nichts ...."
Hartmann schwankte zur Toilette, und kurz darauf gellte ein Schrei, bevor die Tür wieder aufgestoßen wurde, in deren Rahmen Hartmann sich gerade noch aufrecht hielt.
"Hilfe ... grauenhaft ... ein Greis, ich bin ein Greis!"
DiFosca brachte ein Tablett, auf dem Hartmanns Uhren einen verlorenen Eindruck machten. Er lächelte.
"In Zukunft sind ihre Worte wahr, mein Herr."
"Wawas ... Lola?" greinte Hartmann.
"Nun, jetzt haben Sie wirklich keine Zeit mehr!"

 

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