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Der hilfreiche Prinz oder das Unwetter

Der Prinz schob mit der goldenen Gabel die Erbsen auf dem goldenen Teller herum. "Grün", dachte er, "grün ist die Hoffnung." Langsam hob er den Blick und betrachtete seine Frau, die Prinzessin.
"Ach, daß die Kugel in den Brunnen fiel!" murmelte er.
"Was sagst du, Liebster?"
Die Prinzessin schnipste mit den Fingern und ließ sich goldenen Wein in ihren goldenen Pokal nachschenken.
"DusiehstheutewiederganzreizendausLiebste." stieß der Prinz hervor.
"Aber, Liebster, wir hatten uns doch geeinigt, daß du langsamer sprichst." sagte die Prinzessin.
Der Prinz wurde rot.
"Natürlich, entschuldige, es ist nur, daß ich noch immer diese quak Probleme..."
"Deshalb, Liebster, solltest du alle Termine bei deinem Logopäden einhalten, und du wirst sehen, im Nu ist alles in Ordnung." Die Prinzessin lächelte mit blitzenden Zähnchen und der Prinz kniff geblendet die Augen zu. "Andernfalls wird mein Vater den Logopäden ..."
"Äh ja, ich habe doch gute Fortschritte gemacht; der Mann ist wirklich eine Koryquakphäe." sagte der Prinz eilig.
Auf gar keinen Fall wollte er schon wieder die Schilderung der für den Logopäden vorgesehenen Folterqualen hören. Nein, ganz entschieden: der Brunnen war die bessere Alternative. Später würde er einen Spaziergang machen, mit den Füßen im kühlen Wasser planschen und dem Gesang der Frösche lauschen. Der Prinz lächelte.
"Warum lächelst du, Liebster?" fragte die Prinzessin.
"Nun, weil ich mich an deiner Gegenwart erfreue."
Die Prinzessin hob den Pokal und prostete ihrem Gemahl zu. Sechs Monate waren sie jetzt verheiratet, sechs Monate, die dem Prinzen erschienen wie sechshundert Jahre. Täglich mußte er morgens zuschauen, wie seine Frau ihre ellenlangen goldenen Locken bürstete. Täglich mußte er mit ihr unter dem Argusauge der Sonne auf kiesbestreuten Wegen durch den Park wandeln. Täglich mußte er ihrem Gesang lauschen und sie auf der goldenen Harfe begleiten. Täglich... Eine Fliege summte vorbei. Geistesabwesend griff der Prinz in die Luft, schnappte das Insekt und steckte es in den Mund. Am anderen Ende des Tisches polterte der Pokal zu Boden, ein Stuhl wurde quietschend zurückgestoßen und schon klatschte eine Ohrfeige auf die Wange des Prinzen.
"Das ist...das...das ist einfach widerlich...mein Vater...", die Prinzessin schnaubte und stürmte aus dem Saal. Autsch, das würde seinen Psychotherapeuten den Kopf kosten.
Der Prinz begutachtete den Hügel aus Erbsen, den er auf seinem Teller zusammengeschoben hatte. So grün... . Er seufzte. Wie hatte er sich gelangweilt in seiner engen, schummrigen Welt. Wie sehr hatte er sich gewünscht, große Abenteuer zu erleben, die Liebe seines Lebens zu finden. Ja, die Prinzessin war eindeutig ein Sprung auf der Karriereleiter, ja, sie war schön, ja, anfangs war sie eine erotische Offenbarung gewesen. Dennoch: all dieses Gleißen und Glänzen um ihn herum, das Gold, die Sonne, am Abend tausende von Kerzen in schillernden Leuchtern, die vielen Leiber und die vielen Worte, die Wärme - es dörrte ihn aus. Er lechzte nach dem Dämmer des Brunnens, dem Glucksen des Wassers, dem Plätschern und Wabern, das ihn hinwegtrug in üppige Traumwelten. Und vor allem lechzte er nach seinem Kameraden, dem uralten, bemoosten Karpfen, der weder sang noch plapperte noch fragte. Recht betrachtet, hatte er nie auch nur ein Wort gesagt und vor allem hatte er keinen Vater! Niemals wieder würde ihn jemand so gut verstehen wie dieser Karpfen. Der Prinz gab den Erbsen einen Schubs mit der Gabel.

Am Tag der Hinrichtung stattete der Prinz seinem Therapeuten einen letzten Besuch ab. Als er in das Verlies vor den in Ketten gelegten Mann trat, wurde ihm schwarz vor Augen. Er flüsterte:
"Es tut mir quak so leid! Ganz gewiß war es nicht meine quakquak Absicht, Euch in diese quak Lage zu bringen."
Der Therapeut zuckte mit den Schultern, so gut es die Ketten zuließen.
"Ihr seid mein schwerster Fall, Herr. Ich habe versagt und verdiene es nicht anders. Ihr aber müßt Euch konzentrieren. Wendet die Entspannungstechnik an, die ich Euch zeigte, sonst hat dieser Kerker bald einen zweiten Gast."
"Einen zweiten quak Gast quak?"
"Nun, wie es scheint, ist auch Eurem Logopäden kein Erfolg beschieden."
Bestürzt sank der Prinz auf die Knie. Ein weiteres Opfer seiner Identitätskrise? Schon dieses eine war zuviel! Er mußte etwas unternehmen.
"Seid gewiß: ich helfe Euch - und mir auch!"
"Ach, Herr, bringt Euch nicht in Gefahr! Der König..."
"Zum Teufel mit dem Sadisten!"
Der Prinz erhob sich und stürzte mit wehendem Haar davon.

Der Hofstaat starrte mit gierigen Blicken hinunter auf den Turnierplatz, wo der Henker sein Beil schärfte, während der Therapeut zum Block geschleift wurde. Man nahm dem Unglücklichen die Ketten ab und der Prinz, der neben dem König und seiner Tochter auf der Tribüne saß, blickte zum Himmel und nickte einem Raben zu, der in einer Wolke kreiste. Der Rabe schoß in Windeseile zur oberen rechten Ecke des Universums, wo die gesamte Therapiegruppe ausharrte, die der Prinz zusammengetrommelt hatte: die sieben Raben, Rumpelstilzchen, der im letzten Augenblick davon abgehalten worden war, sich aus Gram über das Schicksal des Therapeuten zu zerreißen, sogar Dornröschen hatte sich kurzfristig aus ihrer Erstarrung gelöst. Sie holten tief Luft und bliesen aus Leibeskräften.
Der Prinz suchte den Himmel ab. "Jetzt", flehte er, "jetzt!"
Und tatsächlich brach ein titanisches Unwetter los: mit Regentropfen groß wie Teller und markerschütterndem Donner. Ein Blitz schmolz das Beil des Henkers zu einem kümmerlichen Klümpchen. Der Hofstaat flüchtete, der König kroch unter seinen Thron, die Prinzessin brach unter der Last ihrer klatschnassen Locken zusammen und ein Adler stieß aus dem höllischen Toben, packte den Therapeuten und trug ihn davon. Der gigantische Quaker, mit dem der Prinz über die Tribünenbrüstung hechtete, ging im Getümmel unter. Er rannte in den Wald, rannte, bis das Unwetter nachließ und er ein Heulen und Wehklagen vernahm, dem er folgte. Schließlich stieß er auf eine Bärin, die ihre Tatzen rang.
"Kann ich Euch helfen?" fragte der Prinz.
"Oooh," jaulte die Bärin und zeigte auf eine Linde," mein Baby ist raufgeklettert und dann hat‘s gegossen und die Zweige wurden glitschig und es kann nicht mehr runter und gleich wird‘s fallen und sich wehtun und ich kann nicht rauf, bin zu schwer."
"Moment!" sagte der Prinz, zog seine Schuhe aus und stellte sie an der Baumwurzel ab. Dann hangelte er sich von Ast zu Ast, bis er das wimmernde Kleine erreichte. Er barg es im linken Arm, hangelte sich wieder zu Boden und überreichte das Kind der Mutter. Sie lachte und weinte, nahm das Kind, küßte und herzte es und versetzte dem Prinzen einen begeisterten Schlag gegen die Schulter. Er krachte gegen den Baum und sackte bewußtlos über die Wurzel.
Als er erwachte, saß die Bärin neben ihm und betrachtete ihn mit einem Blick, der ihm irritierend bekannt vorkam. Hatte nicht damals die Prinzessin...? Der Prinz schaute an sich hinab.
"Verdammter Mist!" brummte er, "hört das denn quak nie auf?!"
Und er hob die Tatze, wischte sich eine Träne von der Schnauze und sah nach oben in das grüne Blätterdach der Linde.

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