Knecht Ruprecht
packt aus
Knecht Ruprecht prüfte mit der Kuppe
seines Zeigefingers ob das Bügeleisen die nötige Hitze hatte. Die Ersatzmäntel des
Nikolaus mußten für die neue Saison aufgebügelt werden, die Rute war seit letztem Jahr
nicht mehr ausgebessert worden und machte einen räudigen Eindruck und die Kufen des
Schlittens warteten darauf, ordentlich gewachst zu werden. Nicht zu vergessen, die Säcke,
die er im Akkord würde packen müssen. Knecht Ruprecht seufzte, bohrte mit der Faust ein
Loch in die Wolke, auf der er stand und schaute hindurch.
Menschen hasteten durch Straßen, stauten sich vor Packtischen, gaben ihren letzten Cent
aus und zerbrachen sich die Köpfe wegen der mehrtägigen Festessen. In einer Küche saß
ein Paar beim Abendbrot und stritt:
"Laß uns diesmal über Weihnachten verreisen, Erik."
"Wie stellst du dir das vor, ich habe meine Mutter eingeladen wie jedes Jahr.
Außerdem dachte ich mir, es wäre nett, wenn meine Schwester mit den Kindern kommen
könnte. Sie wäre dir bestimmt eine große Hilfe."
Die Frau zerknüllte ihre Serviette und sprang vom Tisch auf.
Knecht Ruprecht stopfte das Loch in der Wolke mit ein wenig Engelshaar, das zur Verzierung
der Ruten herumlag und begann zu bügeln. Vielleicht würde ihm die Adventszeit nicht so
zusetzen, wenn er mehr Verantwortung tragen, öfter für den Nikolaus einspringen dürfte,
obwohl die Kinder heutzutage nicht mehr so leicht zu beeindrucken waren ... er erinnerte
sich da an ein kleines Mädchen, das minutenlang an seinem Bart gezerrt hatte, weil sie
nicht glauben wollte, daß er echt war. Oder die Lieder, die er sich manchmal hatte
anhören müssen: keins der Kinder traf auch nur einen Ton, was seinem absoluten Gehör
absolute Qualen verursachte. Trotzdem, diese Hilfsarbeiten waren nichts für einen Typ wie
ihn. Doch der Nikolaus schickte ihn nur nach unten, wenn er selbst auf einem
Weihnachtsmarkt zu tief in die Glühweingläser geschaut hatte - was nicht mehr oft
vorkam, nachdem ihm der Weihnachtsmann vor vier Jahren die Leviten gelesen und das Aspirin
weggenommen hatte.
Und so blieb Knecht Ruprecht im Grunde nichts anderes als ein simpler Befehlsempfänger,
eine unterbezahlte Hilfskraft und konnte sich im Sommer höchstens einen Urlaub im Harz
leisten; wenn er sehr sparsam war, reichte es vielleicht auch mal für die Nordsee. Der
Nikolaus dagegen protzte mit seinen Auslandsreisen und lud Knecht Ruprecht zu
unerträglich langweiligen Diavorträgen ein. Wo war er letztes Jahr gewesen? In England,
natürlich: er schwärmte für die britische Monarchie.
Knecht Ruprecht dagegen war mehr für die Demokratie. Er überlegte, ob er sich mit dem
Christkind zusammentun sollte, das oft mit rotgefrorenem Näschen und wehen Händen aus
dem Wald kam. Sie könnten eine Petition an ganz oben verfassen und dem Weihnachtsmann in
eindringlichen Worten ihr schweres Los schildern. Nein, er war sich nicht sicher, ob er
dem Christkind trauen durfte. Der Nikolaus hatte seine Spione überall. Knecht Ruprecht
stellte das Bügeleisen ab, ging zu seinem Schreibtisch und nachdem er eine Weile auf
seinem Kugelschreiber (der Nikolaus hatte einen Füllfederhalter) herumgekaut hatte,
schrieb er seine Eingabe und gab sie einem vorüberfliegenden Weihnachtsengel mit, der
wegen einer dringenden Reklamation (man hatte vergessen, daß er eine Goldstauballergie
hatte und ihn trotz seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf den Dienstplan gesetzt)
auf dem Weg zum Weihnachtsmann war.
Eine halbe Stunde später kam der Engel zurück und bestellte Knecht Ruprecht, daß der
Weihnachtsmann ihn erwarte.
Als Knecht Ruprecht in das Wohnzimmer des Weihnachtsmanns trat, hob dieser die Hand und
sagte:
"Einen Augenblick, bitte. Setz dich."
Im Fernsehen lief die Schlußszene von "Were no angels". Knecht Ruprecht
nahm auf einem Sessel Platz und wartete. Nachdem die Filmmusik verklungen war, wandte sich
der Weihnachtsmann um und sagte:
"Ein großer Schauspieler dieser Humphrey Bogart - und ein lustiger
Weihnachtsfilm."
Knecht Ruprecht nickte nervös, er hatte nicht viel Ahnung von Filmen, obwohl er diesen
natürlich kannte - jeder, der im Weihnachtssektor arbeitete, mußte sich alle
Weihnachtsfilme ansehen, bevor er zum Einsatz kam. Der Weihnachtsmann meinte, das sei eine
gute Vorbereitung auf die Arbeit. Knecht Ruprecht dagegen war der Ansicht, daß die
Wirklichkeit mit den Filmen nicht viel gemeinsam hatte. Aber er hielt natürlich den Mund.
"Du hast ein Problem, Knecht Ruprecht?"
"Äh, ja, ich ... es ... also ..."
"Nun? Ist dir die Arbeit zuviel? Brauchst du mal einen Tag Pause?"
"Ach, es geht schon mit der Arbeit, eigentlich ist es mehr ... die fehlende
Verantwortung , aber vielleicht ist es auch ... ."
"Was?"
Ja. was? Knecht Ruprecht suchte noch nach der richtigen Antwort, als ihm klar wurde, daß
er seine Gefühle nie wirklich ausgelotet hatte. Plötzlich wußte er: er haßte
Weihnachten! Und es brach aus ihm heraus wie aus einem geplatzten Wasserrohr:
"Weihnachten ist übel! Ich kann Weihnachten nicht ausstehen! Weihnachten ist eine
Plage. Eine schreckliche Plage! Wir sollten Weihnachten abschaffen!"
Der Weihnachtsmann bedachte ihn mit einem Blick, der so lang und so undurchdringlich war,
wie die Chinesische Mauer.
"Du willst Weihnachten abschaffen?"
"Ja, ja, das wäre die Lösung für alle Probleme!"
Mit spitzen Lippen pustete der Weihnachtsmann ein Loch in seine Wolke und winkte Knecht
Ruprecht heran.
"Sieh nur, ist es nicht urgemütlich?"
Knecht Ruprecht beugte sich über das Loch und sah ein verschneites Haus, das mit
Lichterketten verziert war und in dessen Garten ein riesiger Weihnachtsbaum strahlte.
"Nein, nein, das ist nur die Fassade. Wir müssen hinter die Fassade sehen, und dann
... mein Gott, es ist zu grauenhaft."
Knecht Ruprecht sank schluchzend auf einen Sessel. Der Weihnachtsmann sah ihn streng an.
"Mir scheint, lieber Freund, du brauchst eine Luftveränderung!?"
Die ärgerlich zusammengezogenen Augenbrauen des Weihnachtsmanns verhießen nichts Gutes
und Knecht Ruprecht brachte ein schüchternes Nicken zustande, während ihm die Tränen
über die Wangen strömten.
Der Weihnachtsmann schnippte mit den Fingern und Knecht Ruprecht versank für einen kurzen
Augenblick in schwärzester Finsternis. Dann wurde es hell. Jemand sagte:
"Wieso heulst du denn so? Auf gehts - hier hab ich Pinsel und Farbe für
dich."
Knecht Ruprecht drehte sich in Richtung der Stimme. Da stand ein Hase mit riesigen
Schlappohren und einer Kiepe auf dem Rücken.
"Na, los, hier wird nicht gefaulenzt - die Eier findest du den Gang runter, zweite
Tür rechts. Aber sei vorsichtig, jeder Bruch wird vom Lohn abgezogen."
P.S.: Diese Geschichte entstand -
ziemlich spontan - aus folgenden Wortvorgaben für ein Schreibspiel: Chinesische Mauer -
Bügeleisen - Monarchie - Weihnachtsmann - Humphrey -
zerknüllen - schreiben - urgemütlich. Dank an Margit, die sich die Worte für Susannes
Mitschreibforum (http://www.wort-reich.de.vu/)
ausgedacht hat.
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